Auszug aus einem Text von mir, den ich in einem Forum auf Fragen eines Gläubigen zur Evolution geschrieben habe
Ein Evolutionsbiologe möge mir auf die Finger klopfen, sollte er Fehler finden. Ich will hier keine Gegenposition zum theistischen, die Evolution verneinenden Standpunkt bilden sondern die Realität möglichst fehlerfrei abbilden. Auch erhebe ich (im Gegensatz zu anderen, größtenteils Gottesbeweise erbringenden Autoren) keinerlei Anspruch auf die Wahrheit, da die Wissenschaft niemals verifizieren sondern nur falsifizieren kann. Im Klartext bedeutet das, dass viele anerkannte Theorien wie die allgemeine Relativitätstheorie, die Quantenmechanik und auch die Evolutionstheorie nach wie vor nur Theorien sind. Ihre Gemeinsamkeit besteht in einer Vielzahl an Experimenten und Beobachtungen, die auf ihre Richtigkeit hindeuten und ein Fehlen von solchen, die sie als falsch erweisen würden. So kann man sagen, dass all diese Theorien die Wirklichkeit zwar gut abbilden und dass sich mit ihnen sogar Vorhersagen treffen lassen, sie aber nach wie vor nur Theorien sind, die ihre Gültigkeit verlieren, sobald ein Gegenbeweis erbracht werden kann.
Zur Angst vor der Evolution
Es ist durchaus verständlich, dass uns ein System, das an Komplexität kaum zu übertreffen ist und das wir noch lange lange nicht umfassend verstehen, Gefühle der Verwirrung, Überforderung und vielleicht sogar Angst einjagt. Der Mensch hat schon immer versucht, seine Umwelt möglichst umfassend zu verstehen und zu erklären. Nur hat sich die Umwelt und damit die Fragestellung geändert. Hat es früher ausgereicht, etwas vom Ackerbau, ein wenig vom Wetter und die Sternbilder zu verstehen, nehmen wir heute viel mehr von unserer Umgebung wahr. Unsere Wahrnehmung bleibt nicht auf unser Dorf oder Land beschränkt und auch nicht auf das bloße Auge. Heute sehen wir mithilfe unserer "neuen Augen" bis auf atomare Ebene in die Materie hinein, bis an die Grenzen des Sichtbares Universums hinaus, bis an den Beginn der Zeit zurück. Auch, dass sich die Wissenschaft mit der Zeit von der Kirche weitgehend gelöst hat, spielt eine Rolle.
So haben wir heute einen Blick auf das Universum, der uns eine unglaubliche Fülle an Informationen bietet, die wir noch nicht vollständig bewältigen und erklären können. Zudem ist der Anker, die Erklärung des Unerklärlichen mithilfe eines Gottes, in der Wissenschaft nicht mehr vorhanden. Logisch, dass in dem Zusammenhang Begriffe wie "bizarr" und "unheimlich" fallen.
Zu Zwischenzuständen und Endzuständen
Am einfachsten lassen sich diese Begriffe wohl ordnen, wenn wir den jetzigen Zeitpunkt nicht als den Wichtigsten betrachten sondern als einen zufällig ausgewählten Augenblick zwischen der Entstehung des Universums vor über 13 Milliarden Jahren und dessen wie auch immer geartetem Ende in wasweissichwievielen Billiarden Jahren (stellt man den Big Crunch mal als unwahrscheinlich hin). Mit dieser Betrachtungsweise kann man von "Endzuständen" im weitesten Sinne nur bei ausgestorbenen
Arten sprechen, da hier keine Weiterentwicklung mehr stattfinden kann. Aus dieser Sicht erscheint schon der Anspruch einer Spezies, die, definiert man "Mensch" großzügig, gerade einmal ein zweitausendstel der Geschichte miterlebt hat, absurd, die Zustände während eines Augenblicks des Universums als Endzustände hinzustellen.
Solange es Evolution gibt, wird jede Lebensform nur ein Zwischenstadium auf dem Weg zur nächsten sein. Auch Haie, die seit hunderten Millionen Jahren existieren, haben nicht als Hai begonnen sondern als einzelne Zelle, die aus einer zufälligen Verknüpfung organischer Moleküle hervorgegangen ist. Und auch wenn sich der Hai in den letzten Millionen Jahren im Vergleich zu den meisten anderen Lebensformen kaum verändert hat, so hat er sich doch verändert.
Die ersten haiähnlichen Arten tauchten bereits vor 400 bis 350 Millionen Jahren auf
Zum Willen zur Leistungssteigerung
Die evolutiven Vorgänge, die zur Weiterentwicklung von Lebewesen führen, würde ich nur bedingt Willen nennen. Viel passender wäre Zwang. Die Umwelt von Lebewesen bestimmt deren Entwicklung. Machen sie diese Entwicklung nicht oder zu langsam mit, bekommen sie besser angepasste Konkurrenz, sterben sie aus. Die Lebewesen, die wir heute sehen, sind kein chaotisches Zufallsprodukt sondern die besten Ergebnisse eines langen Anpassungsprozesses, der von vielen Lebewesen versucht und nur von wenigen überlebt wurde. Das, was wir heute in diversen ökologischen Nischen entdecken können ist sozusagen das “Best of Evolution”, das die Vergangenheit hervorgebracht hat.
Die Haie, Krokodile und anderen Tiere, die seit mehreren hundert Millionen Jahren kaum verändert wurden, sind schon lange recht optimal an ihre Umwelt angepasst, haben kaum oder keine Fressfeinde, die sie mit raffinierten Tricks täuschen müssten und wenig Konkurrenz um ihre Beute. Andere, scheinbar ewig unveränderte Lebewesen wie etwa manche Einzeller, haben unglaublich hohe Reproduktionsraten, extreme Anpassungsfähigkeiten an akute Umweltbedingungen (z.B. Sporenzustände mit sehr hoher Hitze- und Strahlungsresistenz bei Bazillen) und andere Mechanismen, die das Überleben in nahezu unveränderter Form über Jahrmillionen oder -milliarden ermöglicht haben. Solche, schon sehr gut angepassten Organismen, sind aus ihren ökologischen Nischen quasi nicht zu verdrängen, da sie zugewanderten oder mutierten Konkurrenten in den meisten Fällen weit voraus sind. Daher bestand nie großartig Bedarf nach umwälzenden Veränderungen.
Rückentwicklung, höhere und niedere Lebewesen
Ich würde die Evolution nie als eine "Rückentwicklung" oder "Höherentwicklung" bezeichnen sondern einfach als Anpassung und meinetwegen "Weiterentwicklung". Ich sehe Menschen nicht als "höherentwickelt" gegenüber anderen Arten. Sie sind strukturell komplexer als alle anderen Lebewesen, mehr aber auch nicht. Sollte es die Umwelt in Zukunft begünstigen, dass ein Lebewesen kleiner wird, etwa um Fressfeinden zu entgehen, "dümmer" wird, weil es seine Gehirnkapazitäten in der aktuellen Umwelt nicht zum Vorteil gebrauchen kann und diese Kapazitäten abbaut, um Energie zu sparen, aggressiver wird, z.B. um sich gegen ein konkurrierendes Lebewesen durchzusetzen... dann wird es so kommen. Anpassung, nicht Rückentwicklung.
Man kann, wenn man unbedingt möchte, evolutionäre Entwicklungen als Entwicklungen von einem "schlechteren" Zustand hin zu einem "besseren" betrachten. Allerdings NUR bezogen auf den Grad der Anpassung an die Umwelt. Hier strebt die Evolution tatsächlich auf einen Zustand zu, der möglichst optimal an seine Umwelt angepasst ist und dadurch die besten Überlebenschancen ermöglicht.
ABER: Man muss aufpassen, dass man den Grad der Anpassung nicht mit der Komplexität von Lebewesen gleichsetzt. Diese sollte völlig wertfrei betrachtet werden. Einzeller sind uns in ihrer Komplexität generell unterlegen, soviel ist klar. Allerdings sind diese Organismen meist viel besser an ihre Umwelt angepasst als der wenig spezialisierte Mensch. Als Beispiel lassen sich viele hochspezialisierte Bakterien anführen, die teilweise nur in einer kleinen Region der Erde vorkommen, an diese Nische aber unglaublich gut angepasst sind. Weniger komplex, besser angepasst. Oder umgekehrt der Mensch: komplexer, dafür weniger gut angepasst. Insofern trete ich dafür ein, dass es zwischen Lebewesen kein "besser" und "schlechter" im allgemeinen Sinne gibt.
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